- im Rhythmus neuronaler Zellen -
Wolfgang Maass
Institut für Grundlagen der Informationsverarbeitung
Technische Universität Graz
email: maass@igi.tugraz.at
Nicht nur der Computer, sondern auch unser Gehirn verarbeitet Informationen. Aber wie macht unser Gehirn das eigentlich? Können wir dem Gehirn möglicherweise sogar Methoden zum Bau von leistungsfähigeren Computern abschauen? Können wir eine neue Generation von Computern bauen, die ebenso wie das Gehirn ohne Programmierer auskommen, Sprache und bewegte Bilder in Echtzeit verstehen, ungenaue sowie assoziative Speicherabfragen beantworten können (z.B.: "Wie hieß doch gleich der Mann mit der großen Nase, der uns neulich vorgestellt wurde?") und auch dann noch weiterarbeiten können, wenn einmal ein Schaltkreis ausfällt?
Die Frage, wie die Informationsverarbeitung in unserem Gehirn - oder allgemeiner in den Nervensystemen von Lebewesen - funktioniert, ist eine der größten wissenschaftlichen Herausforderungen für das 21. Jahrhundert. Sie hat im Ausland - vor allem in den USA, Großbritannien, Deutschland, Schweiz, Japan und Israel - während der 90'er Jahre zum Entstehen von neuen Wissenschaftszweigen und Studienprogrammen, unter Namen wie Computational Neuroscience, Neural Computation, Neuroinformatik oder Neuromorphic Engineering geführt.1 An der Technischen Universität Graz kann dieses Gebiet im Rahmen des Clusters "Maschinelle Intelligenz" studiert werden.
Wir betrachten unsere Installation "spike trains" in der Landesausstellung als ein Fenster in die Welt der schnellen Informationsverarbeitung in lebenden Organismen.2 Spike trains bilden die Sprache der Neuronen (siehe Abb. 1), also von denjenigen Zellen, die für die schnelle Informationsverarbeitung in Lebewesen verantwortlich sind. Unser Gehirn enthält ca. 10.000.000.000 solcher Neuronen.3
Ein spike wird vom Zellkörper des Neurons über die Verzweigungen des Axons - den Output-Bereich des Neurons - an ca. 10.000 Kontaktstellen zu anderen Neuronen, sogenannten Synapsen4, weitergeleitet. Eine solche Synapse zwischen zwei Neuronen verwandelt den spike des einen Neurons in eine kleine Spannungsänderung von bis zu einigen Millivolt im nächsten Neuron (siehe Abb. 3). Je nach Art des vorhergehenden Neurons gehen diese Spannungsänderungen nach oben - man spricht dann von einem excitatory postsynaptic potential, kurz EPSP - oder nach unten (inhibitory postsynaptic potential: IPSP).
Jeder einzelne von einem Neuron ausgesandte spike hat ungefähr die gleiche Form (wie in Abb. 2a) dargestellt), es gibt also insbesondere keine 1/2-spikes oder 3/4-spikes. Daher kann man einen spike als die kleinste Einheit der Informationsübertragung in unserem Gehirn auffassen, vergleichbar mit dem bit im Computer. Ein spike train (siehe Abb. 2b)) ist einfach eine Folge von spikes, oder genauer gesagt, ein Protokoll der Zeitpunkte, zu denen ein Neuron einen spike aussendet. Spike trains stellen gewissermaßen die Sprache der Neuronen dar, denn mittels spike trains gibt ein Neuron seine Informationen an andere
Man hat früher gemeint, daß man einen spike train stets mit der folgenden Methode dekodieren kann: man zählt einfach die von einem Neuron ausgesandten spikes in einem gewissen Zeitintervall (z.B. 1 Sekunde) und faßt diese Zahl (= "Feuerrate") als die in diesem Abschnitt des spike trains enthaltene Information auf. Alle traditionellen Modelle für "künstliche neuronale Netzwerke" basieren auf dieser Interpretation. Neuere experimentelle Untersuchungen (siehe zum Beispiel Rieke et al., 1997, Koch, 1999, Recce, 1999) zeigen aber, daß in vielen Fällen auch die genauen Positionen der spikes in einem spike train für die neuronale Informationsverarbeitung relevant sind. Man kann die Informationsverarbeitung in einem Netzwerk von Neuronen also eher mit einem von einer Schlagzeugergruppe gespielten Stück vergleichen, zu dessen Wiedererkennung es nicht ausreicht zu wissen, wie oft jedes Schlaginstrument angeschlagen wurde. Charakteristisch für eine von einer Schlagzeugergruppe gespieltes Stück sind vielmehr die überlagerten Rhythmen der einzelnen Schlaginstrumente sowie gewisse Zeitpunkte, an denen mehrere Schlaginstrumente gleichzeitig angeschlagen werden. Man nimmt an, daß in ähnlicher Weise viele Gruppen von Neuronen in biologischen Systemen die von ihnen ausgesendeten Informationen durch das zeitliche Muster kodieren, in dem jedes Neuron in der Gruppe relativ zu den anderen feuert.
Unsere interaktive Installation "spike trains" in der Landesausstellung soll dem "User" Gelegenheit geben, in die Welt der Informationsverarbeitung mit Neuronen in spielerischer Weise einzutauchen. In dieser Installation wird die Arbeitsweise6 von 3 Neuronen im Computer simuliert. Die Erhöhung der Spannung am Zellkörper eines Neurons durch eine Grünfärbung angedeutet. Das Feuern eines Neurons wird jeweils durch einen für das Neuron spezifischen Klang hörbar gemacht. Dies haben wir deshalb gemacht, weil unser Hörsystem besonders gut die komplexen Rhythmen aufnehmen kann, die in spike trains überlagert sind. Wir können also quasi die 3 Neuronen bei ihrer Kommunikation belauschen. Zusätzlich werden die von den Neuronen ausgesandten spike trains als wandernde Strichfolgen, und die von den Synapsen daraus erzeugten EPSP's als wandernde grüne Hügel, graphisch dargestellt (siehe Abb. 5). Um die spike trains für das menschliche Ohr und Auge erfaßbar zu machen, mußten wir sie künstlich verlangsamen. Durch den unteren Regler am User Interface (siehe Abb. 6) kann der User die Simulationsgeschwindigkeit, und damit die Geschwindigkeit der Kommunikation unter den Neuronen, regulieren.
Unser Gehirn enthält ca. 1.000.000.000.000.000 Synapsen, also ca. 10.000 mal so viele wie Neuronen. Diese in unserer Simulation als blaue und rote Dreiecke dargestellten Komponenten des neuronalen Schaltkreises spielen eine besondere Rolle. Zunächst einmal sind sie individuell recht verschieden. Manche bewirken Spannungserhöhungen (EPSP's), andere - wie die rot markierte Synapse in unserer Simulation - bewirken Spannungserniedrigungen (IPSP's). Man spricht von einer "stärkeren" oder "schwächeren" Synapse je nachdem, ob sie größere oder kleinere Spannungsänderungen (also EPSP's oder IPSP's) am nächsten Neuron erzeugt. Dabei ist die "Stärke" einer Synapse in der Regel nicht im genetischen Kode eines Lebewesens vorprogrammiert, sondern sie ist das Resultat von "Lernen". Es wird vermutet, daß "das Gelernte" in unserem Gehirn überwiegend als Muster von stärkeren und schwächeren Synapsen kodiert vorliegt. Der genaue Algorithmus, der diese Kodierung von "Gelerntem" steuert, ist unbekannt. In unserer Installation kann der User die Rolle dieses unbekannten Algorithmus übernehmen und die Stärken der 6 Synapsen - die von 1 bis 6 numeriert sind - individuell verändern.
Wenn man die Stärken der 6 Synapsen verändert, sieht man, daß dies die Dynamik des ganzen Systems verändert. Insbesondere werden dieselben Input spike trains anders verarbeitet und ergeben ganz andere Output spike trains, ähnlich wie Gelerntes uns veranlaßt, die Welt "mit anderen Augen" zu sehen.
In jüngerer Zeit hat man festgestellt, daß Synapsen - abgesehen von ihrer "Polarität" und ihrer Stärke - eine weitere Art von Individualität aufweisen. Wenn man die Folge der EPSP's oder IPSP's beobachtet, die eine Synapse im nächsten Neuron erzeugt, so sieht man, daß sie die verschiedenen spikes des spike train vom vorhergehenden Neuron in verschieden große EPSP's (oder IPSP's) umwandelt, auch wenn die "Stärke" der Synapse nicht verändert wird. Diese zusätzliche sehr schnelle zeitliche Dynamik von Synapsen (die sich auf der Zeitskala von Millisekunden und Sekunden abspielt, während "Lernen" im Zeitbereich von Minuten stattfindet) haben wir ebenfalls in unserer Installation modelliert. Genauer gesagt haben wir die neuen experimentellen Daten von Markram, Wang und Tsodyks (Markram, et al., 1998) über die schnelle Dynamik von Synapsen im Computer modelliert. Die vom User veränderbare "Stärke" einer Synapse beeinflußt nur die durchschnittliche Größe der EPSP's.
Abbildung 6: Skizze des User Interface der Installation "spike trains"
Der User kann am Interface durch Drücken der beiden linken Tasten selbst zwei spike trains erzeugen, die jeweils einen der 4 Inputs für die Neuronen A und B links und unten (siehe Abb. 5) liefern. Der mittels der oberen Taste erzeugte spike train I verursacht EPSP's im Neuron A, das heißt, er bringt dieses Neuron öfters zum Feuern. Der mittels der unteren Taste erzeugte spike train II verursacht IPSP's in Neuron B, das heißt, er hält das Neuron B gelegentlich vom Feuern ab. Daneben erhalten die Neuronen A und B jeweils einen von einem Neuron im Gehirn des Affen (siehe Abb. 4) ausgesandten spike train Bio I bzw. Bio II als Input, und zusätzlich je zwei spike trains von den anderen 2 Neuronen in diesem "neuronalen Schaltkreis". Nach außen liefert der Schaltkreis zwei spike trains als Output, nämlich die spike trains der Neuronen B und C. In einem biologischen System würden solche Output spike trains entweder an andere Teile des Nervensystems weitergeleitet, oder direkt zur Steuerung von Muskeln verwendet.9
Zum Schluß möchte ich anmerken, daß
die Untersuchung einer neuen Generation von künstlichen neuronalen
Netzwerken, die ähnlich wie das in dieser Installation simulierte
mit zeitlichen Mustern von Pulsen rechnen und kommunizieren, ein heißes
Thema der gegenwärtigen Forschung ist (für einen Überblick
siehe (Maass und Bishop, 1999)). Für die technische Realisierung und
die Beratung bei der Konzeption der Computerinstallation "spike trains"
möchte ich Dr. Thomas Natschläger und Dipl.-Ing. Harald Burgsteiner
herzlich danken.10 Ferner danke ich der Landesausstellung gr2000az
für die Finanzierung dieses Projektes.
Fussnoten:
1 siehe
http://www.informatik.uni-hamburg.de/GRK/Personen/Jens/neuroinf.html,
http://www.cns.caltech.edu/s1.html,
http://www.ini.unizh.ch/,
http://www.cs.cmu.edu/afs/cs/project/cnbc/nips/NIPS.html,
http://tcw2.ppsw.rug.nl/~tjeerd/genesis/beeman/cnslecs.html,
http://www.ini.unizh.ch:80/telluride99/home.html (nicht mehr verfügbar)
2 Diese Installation ist ab April 2000 kostenlos über
das Internet von der Homepage unseres Instituts https://www.igi.tugraz.at
unter der Rubrik "Software Projekte" erhältlich.
3 Bilder von Neuronen und Erläuterungen ihrer Funktion
waren online erhältlich von http://zig.ini.unizh.ch/projects/jca/index.html,
http://www.ini.unizh.ch:80/~jca/",
http://www.csuchico.edu/psy/BioPsych/neurotransmission.html,
http://www.sturgeon.ab.ca/rw/nervious_system/nerve.html",
http://tcw2.ppsw.rug.nl/~tjeerd/genesis/beeman/cnslecs.html
4 Bilder und Erläuterungen zu Synapsen waren online
erhältlich von www.csuchico.edu/psy/BioPsych/neurotransmission.html
5 Dies ist eines der Forschungsgebiete unseres Instituts.
Eine allgemein verständliche Einführung ist der online erhältliche
Aufsatz "Netzwerke von 'spiking' Neuronen: Die dritte Generation von Modellen
für Neuronale Netzwerke" von Thomas Natschläger http://www.tugraz.at/igi/tnatschl/Publications.html
sowie der von meiner Homepage http://www.tugraz.at/igi/maass
erhältliche Aufsatz "Das menschliche Gehirn: nur ein Rechner?". Detailliertere
Übersichtsartikel sind ebenfalls von meiner Homepage erhältlich.
Weitere einführende Artikel, die auch mögliche technische Anwendungen
besprechen, findet man in dem Buch (Maass und Bishop, 1999).
6 Genauer gesagt: es werden mathematische Modelle von Neuronen
simuliert, die auf die Nobelpreisträger Hodgkin und Huxley zurückgehen.
Software für die Simulation von Neuronen ist auf dem Internet frei
erhältlich http://www.bbb.caltech.edu:80/GENESIS/,
http://neuron.duke.edu,
http://www.uib.no/med/avd/miapr/arvid/cns/genesis_tutorial/genesis_tutorial.html
(nicht mehr verfügbar)
7 Dabei mußten wir die Schwelle für das Feuern
sehr viel niedriger ansetzen als in der Natur, weil sie sonst niemals feuern
würden. Der Grund ist der, daß ein Neuron in der Natur Input
von nicht nur 3 oder 4, sondern von ca. 10.000 anderen Neuronen erhält.
8 Eine detaillierte Einführung in die zeitliche Dynamik
von Synapsen (Maass und Zador, 1999) ist online von meiner Homepage erhältlich.
9 Es ist geplant, daß der User in der Landesausstellung
die von ihm erzeugten Output spike trains der Neuronen B und C mittels
seines Fingerabdrucks speichern und am Ende seines Ausstellungsrundganges
ausdrucken kann.
10 Unsere Computerinstallation verwendet in der graphischen
Darstellung ein Bild von Herzmuskelzellen, das uns freundlicherweise von
Prof. Dr. Helmut Tritthart und Mag. Manfred Hartbauer zur Verfügung
gestellt wurde.
Literatur
Koch, C. (1999). Biophysics of Computation: Information Processing in Single Neurons. Oxford University Press (Oxford).
Krüger, J. und Aiple, F. (1988). Multielectrode investigation of monkey stritate cortex: Spike train correlations in the infragranular layers. Neurophysiology, 60:798-828.
Maass, W. und Bishop C. M., eds., Pulsed Neural Networks, MIT Press (Cambridge), 1999. Siehe https://igi-web.tugraz.at/people/maass/PNN.html
Maass, W. und Sontag, E. D., Neural systems as nonlinear filters, Neural Computation, in press, Nummer 107 auf https://igi-web.tugraz.at/people/maass/#Publications.
Maass, W. und Zador, A. M., Computing and learning with dynamic synapses, in Pulsed Neural Networks, W. Maass and C. M. Bishop, editors, MIT Press (Cambridge), 321-336, 1999; Nummer 101 auf https://igi-web.tugraz.at/people/maass/#Publications.
Markram H., Wang, Y. und Tsodyks, M. (1998). Differential signaling via the same axon of neocortical pyramidal neurons. Proc. Natl. Acad. Sci., Vol. 95, 5323-5328.
Natschläger, T., Maass, W. und Zador, A. M. Efficient temporal processing with dynamic synapses. Submitted for publication, 1999; Nummer 111 auf https://igi-web.tugraz.at/people/maass/#Publications.
Recce, M. (1999). Encoding Information in Neuronal Activity. In Maass, W. und Bishop, C., editors, Pulsed Neural Networks. MIT-Press (Cambridge, MA), 111-131.
Rieke, F., Warland, D., Bialek, W. und de Ruyter van Steveninck, R. (1997). SPIKES: Exploring the Neural Code. MIT-Press (Cambridge, MA).